FILM.TV: Was meinen sie warum 3D in den letzten Jahren so geboomt hat ?
Len Wiseman: Es liegt fast völlig an „Avatar“, der in 3D brillant war. Aber der Film ist auch zu 90 Prozent computeraniminiert. Deswegen ist der Effekt dort so sauber. Die Pixar-Filme sind in 3D brillant, die sehen fantastisch aus. Da gibt es keinen störenden „Halo“-Effekt. Ich schaue mir viele der Filme in 2D an. Irgendetwas an Live-Action in 3D sieht für mich immer noch wie ein Gimmick aus. Weil „Total Recall“ in einer so fremden Welt spielt, wollte ich dass alles so realistisch wie möglich wirkt, die Ausstattung, die Kostüme. Ich verstehe futuristische Visionen nicht, in denen wir alle peinliche Klamotten aus Gold und Silber-Folie tragen, nur weil es die Zukunft ist. Warum sollten wir das machen ? Ich will so realistisch wie möglich bleiben, damit es sich nicht zu seltsam anfühlt.
Vielleicht finde ich bald ein Projekt, bei dem 3D hilfreich ist. Bisher war das nicht der Fall.
FILM.TV: Was mit dem Helden in „Total Recall“ passiert ist ja in gewisser Weise ein interaktives Filmerlebnis, in das man eintauchen kann. Werden Filme in Zukunft in diese Richtung gehen ? Wie sehen sie die Zukunft des Kinos ?
Len Wiseman: Es gibt Imax und 3D und ich bezahle gerne mehr für einen Imax-Film weil ich das Gefühl habe ich kann in den Film eintauchen. Imax hat ein größeres Format, das Bild ist klarer, die Auflösung höher. Die Filme haben große Tiefe ohne dass es ein Gimmick ist. Ich habe Versuche gesehen mit einer Rundum-Leinwand, die einen völlig umgibt. Für bestimmte Filme könnte das interessant sein. Aber vielleicht bin ich da der falsche Ansprechpartner. Denn ichglaube, dass wir nicht noch mehr bieten müssen. Ich liebe das Erlebnis ins Kino zu gehen, es ist eine fast religiöse Erfahrung, das ist so was wie meine Kirche. Ich liebe das, mit einer großen Gruppe vor einer großen Leinwand, dann geht das Licht aus. Das ist zwar altmodisch aber ich stehe drauf.
FILM.TV: Sind sie dort dann still wie im Gottesdienst oder sind sie der Typ mit dem Popcorn ?
Len Wiseman: Ich kann es nicht ausstehen, wenn Leute ihre Popcorn-Tüten aufmachen. Das macht mich verückt. Wenn Leute sich laut unterhalten und geräuschvoll kauen, dann sollen sie zuhause bleiben. Das nervt mich total. Darüber habe ich mich auch schon oft beschwert. Das brachte mich oft beinahe in Schwierigkeiten.
FILM.TV: Einige der Gadgets im Film sind genial, wie das in der Hand implantierte Handy. Haben sie sich von Zukunftsforschern beraten lassen ?
Len Wiseman: Wir hatten einige Berater aber das Hand-Handy war meine Idee. Ich hatte es vor fünf oder sechs Jahren in einem Drehbuch für einen Science-Fiction-Film, das ich weggeworfen habe. Ich habe auch vor einiger Zeit gelesen, dass man in Japan LCD-Tattoos testet,die auch im Film vorkommen. Sie probierten mit Tattoos herum, bei denen auch Metall und LCD-Bauteile implantiert werden. Ich fand die Idee toll, so kann man sein Handy nicht verlieren.
Oder die Schrapnell-Kamera, die explodiert und dann Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln liefert: Das sind Ideen bei denen ich micht austobe, weil ich auf Sci-Fi stehe und mich frage was möglich ist.
FILM.TV: Waren die Dollarscheine mit dem Bild von Barack Obama auch ihre Idee?
Len Wiseman: Ja, ich dachte, er wird es bestimmt auf einen Dollarschein schaffen. Ich bin auch verantwortlich für den Typen auf dem Schein daneben - das ist mein Vater. Bestimmt sagen sich viele: „Das ist Obama, aber wer ist der andere Typ?“. Das ist Präsident Weisman.
FILM.TV: Glauben sie, dass die Regierungen uns immer die Wahrheit sagen ? Sehen sie in ihrem Film Parallelen zum wahren Leben ?
Len Wiseman: Sicherlich. Ich bin Verschwörungstheoretiker. Es fällt Cohagen sehr leicht, die Vorurteile der Menschen auszunutzen und mit seiner Propaganda-Maschinerie die Schuld für die Anschläge auf andere zu schieben. Das liebe ich an Science-Fiction. Ich mag das mehr als Fantasy, denn es nimmt unsere Realität und fragt dann „Was wäre wenn ?“ Unsere Gesellschaft besteht aus den Besitzenden und den Besitzlosen, nur ist das derzeit noch nicht so auffällig. Aber stellen sie sich vor wir lebten in einer Welt in der nur noch zwei Zonen bewohnbar wären. Ich glaube dass die Unterschiede dann genauso häßlich wären wie wir es beschreiben. Es würde uns trennen und ganz klar machen, wie die Welt aufgeteilt ist in eine Oberschicht und eine Unterschicht und die Welt würde barbarischer werden. In unserer jetzigen Welt ist das nur noch nicht so offensichtlich. Das mag ich an Science Fiction.
Das betrifft auch die Technologie von „Rekall“. Ist das nicht eine Erweiterung von dem was wir mit Facebook haben? Dort kann man auswählen, wer man sein will. „Das sind die Bilder die ich veröffentliche, so sollen die Leute mich sehen. Die ganzen schlechten Dinge lasse ich weg.“
Man wählt eine alternative Persönlichkeit für sich selbst. Das ist kein großer Unterschied zu „Rekall“, wir treiben das nur weiter: Was wenn die Erinnerungen dir sagen, wer du bist ? Ist das etwas Gutes ? Es hat auch Nachteile. Als ich jung war passierte das mit „Dungeons und Dragons“.Man investierte viel Zeit in seinen Chrakter und Freunde und Bekannte von mir waren so besessen, dass ihre Spielfigur sie mehr interessierte als ihre eigene Persönlichkeit. Das sieht man auch bei Facebook. Ich weiß nicht ob es klug wäre,wenn man auswählen könnte, was für eine Person man sein möchte. Und was, wenn wir Stammzellenforschung und das Klonen weiterentwickeln ? Viele dieser Ideen werden uns in den Arsch treten.
FILM.TV: Hatten sie großen Respekt vor dem Original-Film ?
Len Wiseman: Als Fan hatte ich Respekt, als 15-16jähriger habe ich den Film geliebt und einiges, an das ich mich erinnere wollte ich auch hier einbringen. Es gab also gesunden Respekt aber auch das Verlangen, etwas anderes zu machen. Zum Respekt gehörte der Wunsch, den Original-Film nicht zu kopieren. Mein Film hat nicht denselben Stil und auch nicht das comichaft übertriebenes Gemetzel. Wir fliegen auch nicht zum Mars und haben keine coolen Sprüche. Stell dir vor wir hätten das alles - warum sollte jemand den Film ansehen wollen ? Ich wollte dem Original Tribut zollen und damit rumspielen aber nicht Verhoevens Stil nachbauen.
FILM.TV: Hat es Spaß gemacht, „Total Recall“ zu drehen?
Len Wiseman: Oh Gott, ja. Der Film war eine enorme Herausforderung, aber die größte war alle dazu zu bringen mit dem Lachen aufzuhören. Keiner war auf dem Egotrip, es war ein sehr nettes Team, alle kamen gut miteinander aus.
FILM.TV: Bill Nighy ist leider viel zu kurz im Film zu sehen.
Len Wiseman: Dem stimme ich völlig zu. Ich hatte Glück, dass er überhaupt bereit war die kleine Rolle zu übernehmen. Aber im Original ist die Rolle sogar noch kleiner. Dort sieht man den Anfüherer des Widerstands nur für eine Sekunde. Ich ziehe das ein bisschen mehr in die Länge. Ich hätte ihn wirklich gerne länger gezeigt aber so ist die Figur nunmal strukturiert.
Dasselbe gilt für Bryan Cranston. Es ist eine ungewöhnliche Situation für einen Filmschurken, denn wir sehen alles aus Colin´s Perspektive, als wäre alles eine Fantasie, ein Traum. Im Traum sieht man auch meist alles aus dem eigenen Blickwinkel. Ich wollte deshalb alles aus Colins Sichtweise erzählen, darum zeigen wir nie die Schurken allein in ihrer Kommandozentrale. So funktionieren Träume nicht. Jedesmal wenn wird Cranston/Cohagen sehen, dann deshalb weil Colin oder Kate ihn sehen, entweder tatsächlich oder über einen Bildschirm.
FILM.TV: Die Rollen von Nighy und Cranston hätte man auch vertauschen können, Nighy als Brite, der Australien erobert will hätte auch Sinn gemacht. Warum haben sie die beiden so besetzt, wie es jetzt im Film zu sehen ist ?
Len Wiseman: Warscheinlich weil ich damals Cranston in „Breaking Bad“ gesehen habe. Ich war besessen von der Serie ich wollte mit ihm drehen. Es war instinktiv. Als Ich das Drehbuch las, sah ich ihn einfach in der Rolle. Und Bill hat etwas von einer Vaterfigur für mich, eine gewisse Weisheit. Er ist hier fast so etwas wie ein Orakel. Das verkörpert Bill für mich, auch weil ich so oft mit ihm gearbeitet habe. Der Held kommt zu ihm mit der Frage „Wer bin ich ich ? Bin ich ein Produkt meiner Taten oder ein Produkt meiner Erinnerungen ?“ Die Weisheit die er da offenbart – das ist für mich Bill, wahrscheinlich weil er mir selbst so oft Rat gegeben hat.
FILM.TV: Hat es Spaß gemacht ihre Frau als Bösewicht zu inszenieren ?
Len Wiseman: Das hat Spaß gemacht. Es ist erst die zweite Figur für sie die wir zusammen erschaffen haben und bei den Underworld-Filmen ist ihr Charakter übertrieben ernsthaft und sehr düster. Hier konnte sie etwas von ihrem eigenen Temperament und Humor einbringen. Und sie redet ständig von der Ehe. Sie verarbeitet da offenbar etwas auf der Leinwand…ϑ. Es hat ihr gefallen, mit ihrer Rolle ein bißchen Spaß zu haben. Sie sagte oft es macht viel mehr Spaß die Welt zu zerstören,als sie zu retten. Schurken zu spielen macht einfach mehr Spaß.
FILM.TV: Warum haben sie den Film nicht in 3D gedreht ?
Len Wiseman: Ich bin kein großer Fan von 3D. Es stört immer noch das Filmerlebnis. Ich bin aber nicht vehement dagegen. Es gibt einige Filme, wo es mich gepackt hat. Avatar war ein erstaunliches Erlebnis.
Bei „Total Recall“ gab es mehrere Gründe für2D. Unsere Welt ist so fantastisch, dass ich dachte dort noch 3D draufzupacken würde es zu deutlich futuristisch machen, so dass es sich mehr wie ein Videospiel anfühlt. Ich wollte dagegen, dass es sich dreckig und real anfühlt. Und ich habe bisher noch keinen 3D-Film gesehen, bei dem ich nicht zwei- oder dreimal die Brille abnehme und wieder aufsetze um den Effekt zu testen. Das lenkt vom Filmerlebnis und der Geschichte ab. Und ich denke beim Zuschauen immer: „Oh, dafür haben sie sich entschieden, das kommt in der Vordergrund, das verschwindet im Hintergrund“. Oft kommt mir das Bild auch verwaschen vor. „Total Recall“ ist mit Abstand mein größter Visual Effects-Film, aber auch mit Abstand der größte Actionfilmen. Ich mag die Mischung aus beidem, tatsächliche Bauten kombiniert mit Technologie.